Englische Ansichten

Mit dem OB in der Partnerstadt Nottingham

»Englische Ansichten« waren angesagt als kulturelles Begleitprogramm zur Eröffnung der »Karlsruhe Friendship Bridge« in Nottingham.

2-20141017_1158371-20141017_112309Die neue Straßenbahnbrücke, die OB Dr. Frank Mentrup am 17. Oktober 2014 einweihte, wird ab 2015 die Außenbezirke der Stadt mit ihrem mittelalterlichen Kern verbinden. Hier thront das alte Castle über der Landschaft des legendären Sherwood Forest, in dem Robin Hood, der edle Räuber, einst seine Bande versteckte. Die mehrfach neu aufgerüstete Burg war die ehemalige Herberge des fiesen Sheriffs, der den Outlaw am heftigsten bekämpfte, diesem aber stets unterlegen blieb. Der siegreiche Räuber wird noch heute als der »größte Verbrecher aller Zeiten« gefeiert und trat beim Empfang durch die Stadt Nottingham eben dort auch »leibhaftig« auf.

Der Sandsteinfelsen, auf dem das Castle liegt, ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse und bildet ein unterirdisches Labyrinth von ungeahntem Ausmaß. In einer der Öffnungen an der Südseite endet ein Geheimgang, in dem sich der (angeblich) älteste Pub Englands Ye olde Trip to Jerusalem eingenistet hat. In seinen Nischen, Ecken, Wendeltreppen über drei Stockwerke, Gängen mit hohen Öffnungen, in denen dicke und lange Spinnweben hängen, wird seit 1189 in hohen, bis zum Rand gefüllten Glasbechern Bier ausgeschenkt und meist gleich im Stehen ausgetrunken.

Gedacht waren – zum festlichen musikalischen Abendprogramm in der St. Peter’s Church – zwei literarische Veranstaltungen in den beiden Universität von Nottingham. Sie sollten einmal die Sicht eines Deutschen auf England und zum andern den Blick eines Engländers auf Deutschland, hier genauer: James Boswell’s auf Karlsruhe während seiner »großen Reise« durch Deutschland und die Schweiz (1764), sozusagen kontrapunktisch beleuchten. Da Prof. Dr. Schmidt-Bergmann, der Vorsitzende der Literarischen Gesellschaft Karlsruhe, der den Part von James Boswell übernehmen wollte, leider aus gesundheitlichen Gründen verhindert war, musste Bertolt Brecht den gegebenen Rahmen ausfüllen.

Das war insofern kein Problem, weil Brecht, der nur zweimal auf Kurzzeittrip in London war, ohne England kaum zu denken ist. Sein Werk ist regelrecht durchwoben von der Fülle der englischen Literatur: von Marlowe und Shakespeare über Percy B. Shelley, Oscar Wilde und Conan Doyle bis zu Bernard Shaw, Rudyard Kipling und nicht zuletzt Edgar Wallace, den er sich als Krimiliebhaber nicht nehmen ließ. Auch Brechts erfolgreichstes Werk – und nicht nur dieses – spielt in England. Mit ihm ist zum Beispiel zu lernen, dass der berühmte tote Mann am Strand nicht etwa am Meer, sondern mitten in London liegt: Strand ist eine Hauptstraße der City. Hier geschah 1897 vor dem Adelphi Theatre der nie aufgeklärte Mord, der mit der Dreigroschenoper (1928) durch einen Deutschen in die Weltliteratur einging und als Legende die Zeiten überleben wird.

Dass Brecht kein extra für den Anlass bemühtes Thema war, bewies u.a. der bekannte Emeritus Professor of German Studies and Critical Theory Steve Giles, Verfasser u.a. mehrerer Bücher zu Brechts Theater und theoretischen Schriften, der die deutschen Gäste im altehrwürdigen The Hemsley empfing und in seiner Einführung über gegenwärtige Brecht-Veranstaltungen in England berichtete. Ab Juli 2014 geht zum Beispiel das szenische Poetry-Programm: Brecht & Steffin. Love in a Time of Exile and War u.a. in Oxford, London und weiteren Städten Englands vor ausverkauften Häusern über die Bühne. So wunderte es nicht, dass die Anregungen, die Prof. Dr. Jan Knopf von der Arbeitsstelle Bertolt Brecht am KIT über die englischen und oft auch skurrilen Ansichten des Stückeschreibers locker und vergnüglich vortrug, muntere Diskussionen auslösten, die den Nachmittag, obwohl nur die >eine< Ansicht zur Sprache kam, problemlos ausfüllten.

3-20141017_151547Der weitere literarische Nachmittag, der an der Trent-University stattfand und vorwiegend junges Publikum anzog, widmete sich vor allem dem Brecht der Zwanziger Jahre, dessen Werke wie Mann ist Mann oder Im Dickicht der Städte die aktuellen Themen wie Konsum (»Shopping«), menschliche Anonymität sowie die Frage nach dem »Ich« (»Befindlichkeit«) bereits vorweggenommen hatten und Gelegenheit gaben, die heute anstehenden Probleme zu debattieren – mit dem Fazit: die englischen Studies und Dozenten fanden auch an dieser (Karlsruher) Friendship-Verbindung Interesse und Vergnügen.

Brücken zwischen der Insel und dem Kontinent schlugen auch die musikalischen Veranstaltungen in der ehrwürdigen St. Peter’s Church.

Jeannette La-Deuram Flügel – begleitete den international renommierten Tenor Bernhard Berchtold mit Liedern von Beethoven, Williams, Britten und – als Highlight – der Karlsruher Komponistin Margarete Schweikert.

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Der blinde Pianist Martin Engel, Dozent an der Karlsruher Musikhochschule, begeisterte sein Publikum mit Werken von Beethoven, Debussy, Chopin und Schumann. Nach der »Revolutions-Étude« von Chopin als Zugabe durfte er seine erste CD signieren.

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Diese »Karlsruhe Cultural Days« bildeten ein beeindruckendes Begleitprogramm zur Einweihung der »Karlsruhe Friendship Bridge«.

Leider wurde ihnen nicht die erwartete und verdiente Resonanz zuteil. Die allseits gewünschte Fortsetzung sollte eine – auch sichtbare – Beteiligung der Verantwortlichen beider Partnerstädte erfahren.

Joachim Klaus (Vorsitzender des Deutsch-Englischen Freundeskreises, Karlsruhe)
Jan Knopf (Leiter der Arbeitsstelle Bertolt Brecht, KIT Karlsruhe)